Einem Sterbenden als letzten Blick einen Picasso zu schenken, hat etwas Barbarisches. Umgekehrt genauso. Das Picasso Bild, ewig im Firnis behütet, blickt auf eine sterbende Welt. Beide hätten sie mehr verdient.
Ein Junge und ein Mädchen:
1 und 0.
Er will die Revolution,
sie behauptet, aus einem Film entlaufen zu sein.
Es sei ein alter Film, der restauriert werden soll,
aber sie wolle nicht digitalisiert werden,
sagt das Mädchen.
Sie wolle nicht mehr die Rolle ihres Lebens in diesem Film spielen.
Sie wolle sterben.
Natürlich glaubt ihr der Junge diese Geschichte nicht,
und doch begeben sie sich auf die Suche nach der letzten noch existierenden Filmrolle,
um sie zu vernichten.
Das ewige Leben ist ein uralter Traum der Menschheit, der Tod die unumstößliche Realität – nur wie lange noch? Könnte die künstliche Intelligenz ein unendliches Leben ermöglichen und was wird aus uns, wenn wir über den Tod hinaus anwesend sind? Halten wir das überhaupt aus?
Religiöse Unsterblichkeitserzählungen waren weitestgehend alternativlos, die Menschen versuchten an sie zu glauben, solange bis das Mythologische von der Wissenschaft verdrängt wurde. Das hinterließ in der westlichen Welt eine Art Vakuum, denn obwohl wir immer weniger transzendentale Argumente gelten ließen, blieb die Sehnsucht nach einem Leben nach dem Tod ungebrochen. Genau diese Sinnlücke wird jetzt von Unternehmen kommerzialisiert, in dem sie so etwas wie eine weltliche Unsterblichkeit anbieten. Das heißt, dass Menschen mit Hilfe von Big Data durch eine äußerst komplexe, digitale Kopie ersetzt werden. Diese Transformation beinhaltet auch das Versprechen, die Seele eines Menschen auf Erden lebendig zu erhalten, ein Privileg, das bisher nur im Reich Gottes möglich erschien. Damit wird sich unser Sterben nicht grundlegend ändern, der Tod lässt sich nicht auszuschlachten, er hat im Kapitalismus keinen Platz, unser Leben schon, gerade wenn es unendlich lange dauert.
Die wesentliche Frage ist: Sollten wir wirklich so weit gehen, oder sollten wir für unsere Sterblichkeit kämpfen? Das Mädchen und der Junge in FIRNIS haben sich entschieden.
Denn alles Schöne hat das Recht zu sterben, sagt 0
Ohne den Tod, gibt es keine Schönheit.
Und auch kein Leben.
Mit: Lena Halve, Alexander Felder und Adrian Moskowicz
Buch: Gerhard Zahner und Tim Dziarnowski
Regie: Jurij Diez
Regieassistenz: Estella Probst
Komposition: Lucia Knöpfel
Bühnenbild: Alois Ellmauer
Fotografie: Mario Steigerwald
Grafik: Hannes Pasqualini
Programmheft: Dietmar Höss, Fiona Bumann
Licht-/Ton-Technik: Vincent Sollinger
Produktion: Dietmar Höss
Eine Produktion des Rationaltheater München e.V.