Theater

Leben jenseits des Horizonts

Uraufführung: 29. September 2020

In Deutschland leben fast 19,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Mehr als drei Millionen Personen sind Deutsche aus Russland bzw. der ehemaligen Sowjetunion, die als (Spät-) Aussiedler in ihre historische Heimat Deutschland zurückgekehrt sind. Viele Menschen mit russlanddeutschen Wurzeln haben sich auf den Weg gemacht, aber nicht alle sind auch angekommen! Oft verbindet sie über mehrere Generationen hinweg die Suche nach ihrer Identität. Die Betroffenen haben oft das Gefühl, entwurzelt, nicht zugehörig und ausgegrenzt zu sein. LEBEN JENSEITS DES HORIZONTS basiert auf wahren Begebenheiten und Erlebnissen von Russlanddeutschen, die als Zeitzeugen interviewt wurden.

Inhalt

1939 – 1990: Erzählt wird die Geschichte zweier Brüder aus einer bereits im 18. Jahrhundert in die Ukraine ausgewanderten Familie deutscher Kolonisten. Der Vater, von dem die Familie viele Jahre nichts gehört hat, ist nach Kanada aufgebrochen. Ausgelöst vom 2. Weltkrieg und den Deportationen der Russlanddeutschen in der Sowjetunion (28. August 1941), trennen sich die Wege der beiden Brüder. Der Ältere ist überzeugt, dass die deutschen Vorfahren es versäumt haben, sich zu assimilieren, und aus diesem Grund zu ewig Fremden in Russland wurden. Der Jüngere hingegen hält an seiner deutschen Identität fest. Beide versuchen auf ihre Weise, der Entwurzelung entgegen zu wirken: der ältere Bruder geht freiwillig in die sowjetische Armee und meldet sich zum Fronteinsatz, der Jüngere meldet sich zur militärischen Ausbildung an, ihn verschlägt es schließlich zur Waffen-SS.

Bei Kriegsausbruch fordert die Mutter den Söhnen ein Versprechen ab: Egal, welches Glück oder Unglück ihnen im Leben zustoßen mag, sollen sie ihr Briefe schreiben: „Es gibt keine Briefe, die eine Mutter nicht erreichen…“

Die Briefe der Söhne an die Mutter bilden das Kernstück des Stücks, auch wenn einige aufgrund der Kriegswirren nur in Gedanken formuliert, nie abgeschickt, nie angekommen oder nie gelesen wurden. „Was soll ich tun, Mama?“ ist eine wiederkehrende Frage der Brüder, die nie beantwortet wird. 1942 wird die Mutter an die Arbeitsfront nach Deutschland geschickt und 1945 während des Bombenangriffs der Alliierten auf Dresden getötet. Vom Tod der Mutter erfahren die Söhne erst viel später.

Von den Nazis als „deutsche Zigeuner“ und von den Sowjets als „Feind und Verräter“ abgeurteilt, finden beide Brüder weder Zugehörigkeit noch Akzeptanz und sind den Fronten der Kriegsgegner – auch nach Kriegsende – schutzlos ausgeliefert. In der Sowjetunion als Deutschstämmiger verbannt und in Deutschland als Russe diskriminiert, entscheidet sich der ältere Bruder nach dem Krieg für ein Leben unter falschem Namen in Kasachstan, wo er bei den deportierten Russlanddeutschen vergeblich eine Heimat sucht. Der jüngere Bruder entscheidet sich für ein Leben in Chile, wohin zahlreiche ehemalige Nazis geflohen sind, und lebt unter falschem Namen in einer elenden Wohnung des Auswandererbezirks Santiago. Erst 1990 kreuzen sich ihre Lebenswege wieder. Von einem Rechtsanwalt erhalten Sie Nachricht vom mittlerweile verstorbenen Vater, der ihnen sein Vermögen vererbt hat…

 

Zielsetzung

Die Inszenierung setzt sich mit der leidvollen, wenig bekannten Geschichte der Russlanddeutschen auseinander und soll einen aktiven Austausch zwischen noch lebenden Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts und der jüngeren Generation fördern. Der dargebotene Stoff ist ein Beitrag zur aktuellen Diskussion über (Vor-) Urteile, aber auch zur Thematik der generationsübergreifenden Traumaweitergabe der Kriegsgeneration und von (Spät-) Aussiedlern an ihre Kinder und Kindeskinder.

Zahllose Menschen befinden sich auch heute auf der Flucht vor Kriegen und Gewalt. Auch diese Generation wird ihre Traumata und das Gefühl von Heimatlosigkeit an die Kinder weitergeben… Somit kann das Stück LEBEN JENSEITS DES HORIZONTS auch einen Blickwinkel auf die migrationspolitischen Entwicklungen darstellen.

 

Autoren

Yurii Poimanov – Schriftsteller und Drehbuchautor, lebt in Kiew, Ukraine; absolvierte die Philologische Fakultät des Staatlichen Pädagogischen Instituts in Luhansk; 1992 – 2002 unterrichtete Russisch, Literatur, Philosophiegeschichte, Religionsgeschichte und leitete ein Jugendtheaterstudio, 2002 – 2008 arbeitete als freier Journalist und Publizist; seit 2008 arbeitet als freier Drehbuchautor und Schriftsteller; er erhielt zahlreiche Auszeichnungen als Drehbuchautor; für sein Buch „Die letzten Tage“ bekam er 2001 Literaturpreis; vier Nominierungen beim Film-Festival in Monte Carlo.

Jurij Diez, geboren 1981 in Nowo – Donezk/ Kasachstan, aufgewachsen in Russland; 1999 – 2002 Schauspielausbildung im Theater für Drama in Kamyshin/ Russland; lebt und arbeitet seit 2002 als freier Schauspieler, Regisseur und Leiter von Theaterworkshops in Deutschland; 2018/19 Zusatzausbildung zum Dokumentarfilmer (Studio West in Salzburg); neben zahlreichen Rollen aus der klassischen und modernen Theaterliteratur hat er Mono-Stücke gespielt und wurde weltweit auf Festivals eingeladen und mehrfach ausgezeichnet; die interkulturelle Theaterarbeit ist ein Schwerpunkt seiner künstlerischen Arbeit (u.a. Schauspieler in mehrsprachigen Inszenierungen in deutsch-ukrainischen Koproduktionen in Kiew/München oder Regiearbeiten mit Studierenden in China).

 

Mit: Jurij Diez, Adrian Castilla, Anna Kuzmenko

Regie: Jurij Diez
Regieassistenz: Valentin Walch
Dramaturgie: Katrin Kazubko

Musik/Ton: Rupert Bopp
Videodesign: Wolf Hampich
Technik + Licht: Hermann Hübner & Wolf Markgraf
Grafik: Alejandro Calderon
Fotografie: Mario Steigerwald
Video/Schnitt-Interviews: David Recher
Öffentlichkeitsarbeit: Ayna Steigerwald, Susa Heck

Produzenten: Dietmar Höss – Rationaltheater München e.V. und Jurij Diez – im Auftrag des Bayerischen Kulturzentrums der Deutschen aus Russland.
Produktionsassistenz: Marile Glöcklhofer

Eine Produktion des Rationaltheater München e.V. und des BKDR Kulturzentrum der Deutschen aus Russland. www.bkdr.de

Mit Unterstützung von:

Galerie

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